Also:
Auf eine Bitte eines Members hin, mal etwas zu den im Titel genannten Stichworten zu schreiben, habe ich mal versucht die Themen zu umreißen.
Mir ist klar, dass dabei kein Anspruch auf Vollständigkeit sein kann.
Das unten genannte gilt im Grunde für alle PKW Baureihen ab W202.
Vorher gehende Baureihen verfolgten andere stark versuchsgetriebene Philosophien, sowie zu dieser Zeit auch die Tools zur Fahrwerkswentwicklung noch sehr mager waren.
Beginnen wir mal mit den Grundlagen der Fahrwerksvermessung.
Die in der Einstellvorschrift vorgegebenen Werte sind bei der Vorspur
Fixwerte, bei denen es egal ist, in welcher Niveauhöhe das individuelle
Auto steht.
Dabei gibt es dafür Toleranzen, die einzuhalten sind.
Die Vorderachsvorspur wird dabei in Bezug auf die geometrische Fahrachse = Mitte der Hinterachsvorspur eingestellt.
Die Vorspur muss bei laufendem Motor eingestellt werden,
weil ansonsten ein schief stehendes Lenkrad droht. (Toleranz 1,5°)
Bei der Achsvermessung wird auch der Spurdifferenzwinkel bei 20° Kurveninnenradwinkel und die Maximaleinschläge re/li gemessen.
Die
Vorspurmessung muss mit den Schnellspannern durch die Felgenlöcher
durchgeführt, da drehende Räder , nur in den Wagenwerken mit Laser auf
die Reifen den Felgen/Reifenschlag eliminieren.
Das oft zu sehende
15° vorwärts/rückwärts drehen des Rades bei Universalschnellspannern
beruht auf der irrigen Annahme, es handle sich beim Felgenschlag um
einen einphasigen Schlag.
In Wirklichkeit sind besonders bei Stahlrädern produktionsbedingte Dellen in der Felge (3mm).
Der Radsturz ist bei Vorspur 0 ebenfalls mit den og Spannern in Bezug auf die Bremsscheibe zu messen.
Der
Sturz ist vorne und hinten in Bezug auf die Niveaulage zu korrigieren.
Dafür wird ein sog. Inklinometer (Romessgerät) an vorgeschriebenen
Stellen der Achse gehalten.
Der Rechner in der Messanlage rechnet
dann den erforderlichen Bereich aus, in dem der Sturz liegen muss. Dabei
ist die Toleranz re/li halb so groß wie der Toleranzbereich des
Einzelrades.
Einen Sollwert gibt es dabei nicht, weil mit dem W202
keine Exzenter mehr eingesetzt wurden und auch nicht nötig sind. Das
wurde erreicht, indem die Befestigungslöcher der Achsen in der fertigen
Karosse, bzw Fahrschemel hochgenau gestanzt sind. Um bei der
Kaskoeinstufung bzgl. Minimalcrash zu punkten, wurde vorne eine sog.
Reparaturlösung eingebaut, die die Lage der unteren Lenkerbefestigung um
+-3mm zu verschieben erlaubt. Dazu gibt es das sog. Rautendiagramm,
das dem Monteur bei Fehlstellung von Sturz und Nachlauf die erwünschte Veränderung zeigt, um wieder in den Sollbereich zu kommen.
Nun noch der Nachlauf:
Dieser Wert kann nicht explizit gemessen werden. Er wird duch
Radeinschlag und Sturzmessung umgerechnet und dann auch noch
niveaukorrigiert. Hintergrund ist die Veränderung des Sturzes über den
Radeinschlag in den Nachlaufwinkel. (sog. Spreiz-Nachlaufachse) Beim
Nachlauf ist ebenfalls die re-li Toleranz halb so groß wie beim
Einzelrad. Da die Nachlaufdifferenz über den sog. Hochkrafthebelarm zu
Kräften in die Spurstangen führt, entstehen dabei Kraftdifferenzen, die
als einseitiges Ziehen empfunden werden.
Dieser Effekt ist allerdings
lange nicht so groß wie Reifeneinflüsse durch Konizität und Plysteer.
Konus lässt sich durch Rädertausch re/li erkennen, Plysteer aber nicht.
Fast alle heute produzierten Reifen haben allerdings einen eingebauten
Linksdrall, wobei die Laufrichtung egal ist. Das ist beabsichtigt, um das
unerwünschte, Nachlaufen der Straßenneigung zu verringern.
Hierbei
werden dauernde Momente von >1Nm am Lenkrad als unangenehm
empfunden. Das lässt sich bei modernen EPS (Elektrolenkungen) elektronisch wegregeln. In
diesem Zuge dieser Verbesserung entfiel auch das 'missbräuchliche '
Verwenden der Reparaturlösung zur Verzwängung des Nachlaufes weitgehend.
Eine
Auflastung des Fahrzeuges mit 3x68kg wird nur im Versuchsbetrieb
durchgeführt. Im Kundendienst wird fahrfertig gemessen und eingestellt.
Bei
Lenkertausch auf der Hebebühne werden die Befestigungsschrauben an
Karosse und Fahrschemel nur angelegt und erst im fahrfertigen Zustand
endangezogen, weil ein Anzug bei hängender Achse die Gummilager im
Betrieb überansprucht und eine Parallelfederrate die Niveaulage
verfäscht.
Soweit zum Thema Fahrwerkseinstellung und Kinematik. Hier
kommt auch sog. Rollsteuern zum Tragen. Dabei verändert sich bei der
Kurvenfahrt duch das Rollen des Wagenkastens um die Fahrzeuglängsachse
die Vorspur Richtung untersteuern, um ein gutmütiges Verhalten zu
erhalten.
Darüber hinaus spielt die Elastokinematik eine wichtige
Rolle, bei der Seitenkräfte durch gezielte Auswahl der
Gummilagersteifigkeiten zu erwünschtem Untersteueren bei entsprechedem
Gradienten führt. Die Elastokinematik steht allerdings auch im
Zusammenhang mit dem sehr komplexen NVH (Noise Vibration Harshness)
Verhalten eines Fahrzeuges. Diese Disziplinen der Fahrwerkentwicklung
sind sozusagen die Kür des Ganzen.
Fazit: Ein gutes Fahrwerk fällt positiv durch Unauffälligkeit auf.
Wenn noch jemand Fragen hat, gerne. Dann spinnen wir den Faden hier halt einfach weiter.
Regards
Rei97