Beiträge von Hilden Man

    Ein Erfahrungsbericht


    "Ich empfinde die rote Plakette als Enteignung"


    5. Januar 2010, 13:40 Uhr


    Der Mercedes funktioniert einwandfrei und hat trotzdem einen großen Makel. Seit Neujahr darf Claudia Ehrenstein
    mit ihrem Auto nicht mehr in die Berliner Umweltzone fahren. Die
    Politik zwingt die WELT-ONLINE-Redakteurin, ihr altes Auto, Baujahr
    1989, abzuschaffen. Das empfindet sie als Enteignung.




    [Blockierte Grafik: http://www.welt.de/multimedia/archive/1262694943000/00987/mercedes_DW_Bayern__987855g.jpg]



    Foto: Claudia Ehrenstein


    Um diesen soliden Mercedes geht es: Obwohl seine Technik einwandfrei
    ist, darf er nicht mehr in die Berliner Innenstadt



    Zum Glück hat es kräftig geschneit. Auf meinem Auto liegt eine dicke
    Schneehaube und verdeckt die rote Plakette auf der Windschutzscheibe.
    Den verräterischen Schriftzug am Heck habe ich mit einem gezielten
    Schneeballwurf abgedeckt.


    So ist das Auto vorerst gut getarnt. Wird es von der Polizei
    entdeckt, drohen mir 40 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg. Denn
    ich wohne in der Berliner Umweltzone. Und dort sind mit Beginn des
    neuen Jahres nur noch Fahrzeuge mit grüner Plakette erlaubt.
    Als mein Auto vom Band lief, stand die Mauer noch; ein Mercedes 190,
    silbergrau, von 1989. Erst trug der Wagen ein Böblinger Kennzeichen,
    dann wechselte er nach Ostholstein. Ich habe ihn 2006 gekauft und noch
    im selben Jahr einen Dieselkatalysator einbauen lassen. Im
    Fahrzeugbrief steht sogar etwas von „schadstoffarm“. Trotzdem hat es
    nur für eine rote Plakette gereicht.
    Über
    Nacht ist mein Auto nun zu einem Illegalen geworden. In anderen Städten
    dürfen Anwohner mit ihrem Rote-Plakette-Auto wenigstens auf dem
    kürzesten Weg in die Umweltzone hineinfahren und vor der Haustür
    parken. In Berlin gibt es diese Regelung nicht. So will mich die
    Politik zwingen, mein altes Auto abzuschaffen. Das empfinde ich als
    Enteignung. Ich bin mit meinem Auto zufrieden. Es hat einen passablen
    Kofferraum, ist robust und zuverlässig; ideal für Reisen und
    Großeinkäufe. Zur Arbeit fahre ich ohnehin mit der U-Bahn.
    Mein Kfz-Meister freut sich immer, wenn ich den Wagen zur Wartung
    bringe. Dann können seine Lehrlinge einmal sehen, was solide Mechanik
    ist. In den Augen der Politik aber ist mein Auto plötzlich nichts
    weiter als ein elender Stinker. Eine Rußpartikel produzierende und die
    Gesundheit des Menschen gefährdende Dreckschleuder, die zumindest in
    der Berliner
    Innenstadt nichts mehr zu suchen hat.
    Meine Versuche, das Auto auf den neuesten Stand zu
    bringen, sind gescheitert. Für dieses Modell gibt es keine weitere
    Nachrüstung. Offizielle Oldtimer mit noch schlechteren Abgaswerten
    dagegen dürfen auch ohne Feinstaub-Filter in die Umweltzone einfahren.
    Dafür aber ist mein Auto noch nicht alt genug. So bleibt mir nichts
    anderes übrig, als es außerhalb des Sperrbereichs abzustellen und bis
    zur nächsten Reise regelmäßig nach dem Rechten zu sehen – so absurd
    kann das Leben heute sein.