Arbeitsschritte: Sturz einstellen - Radaufhängung ein- und ausbauen?

  • Liebe Freunde, eine Laienfrage: Nachdem unser W204 nach rechts zieht und die Vorderreifen einseitig außen abgenutzt sind, habe ich heute bei Herrn Unger die Vorderachse vermessen lassen. Die Spur ist in Ordnung, sagte mir Herr Unger, aber der Sturz stimme nicht und müsste nachgestellt werden. Dazu aber sei es erforderlich, zusätzlich zur Pauschale für die Achsvermessung

    • zwei Schrauben zu ersetzen (je 40 Euro), die es nur beim Freundlichen gibt und für die Einstellung
    • "Lenker unten Radaufhängung aus- und einzubauen", einschließlich Räder an- und abbauen,

    sodass der Spaß am Ende 280,- Euronen kosten soll.


    Sind diese Arbeitsschritte für das Nachstellen des Sturzes tatsächlich erforderlich? Oder erzählen Dir mir ein Märchen?


    Kann jemand helfen?


    Axel grüßt.

  • Also:

    Der Sturz ist weitgehend unempfindlich bzgl. Ablaufen und unzulässigen ungleichen Lenkmomenten bei Geradeausfahrt .

    Es gibt mehrere Ursachen für das Ablaufen.

    1. physikalisches Ablaufen auf geneigter Fahrbahn. Das ist eigentlich normal und kann nur begrenzt bekämpft werden.

    Dabei wird Sturz und Nachlauf so verzwängt, daß rechts ein deutlich größerer Nachlauf entsteht als links. Der dadurch veränderte Hochkrafthebelarm versucht dann rechts stärker als links ein Vorspurmoment zu erzeugen, die das Auto nach Richtung links verbiegt. Unterstützen kann man das durch stärkere Vorspannung im Druckstück der Lenkung, das irgendwann zu geringer Reibung führt. Das ist aber eine Sache für absolute Kenner. Dabei wird die Druckstückschraube in 5° Schritten (Anfang markieren) angezogen und auf der Hebebühne am Rad gedreht um den Punkt zu finden, wo das Druckstück noch nicht klemmt.

    2a. Reifeneinfluss: Billigreifen haben gerne einen unerwünschten Plysteer. Dabei führen ungleiche Lagenwinkel zu einem laufrichtungsunabhängigen Moment. Das lässt sich nur durch bessere Reifen bekämpfen.

    2b Reifenmontageeinfluss: Wird mit zu wenig Flutschi montiert, dann kann ein schlechter Wulstsitz zu einem Reifenkonus nach der Montage führen. Billigreifen haben gerne von Haus aus zu große Konuswinkel. Dieser Einfluß lässt sich durch Kreuztausch der Räder erkennen. Wenn es bei Reifen ohne Laufrichtung besser wird, so lassen. Laufrichtungsgebundene Reifen können nach dem Test nur durch Entlüften und neue Montage ordentlich sein.


    Im Übrigen ist Reifenverschleiß immer eine Folge von Schlupf.

    Der entsteht über die Fahrweise bei Hecktrieblern vorne gerne aussen, weil bei Kurvenfahrt sich die Vorspur vergrößert und dann durch Seitenkäfte sich der Reifenlatsch am stärker belasteten Kurvenrad nach innen deformiert. Wer oft von der BAB runter heizt findet das oft am linken Vorderrad.

    Hinten sieht die Geschichte anders aus, weil da der Vortrieb die Hauptursache für Innenschulterverschleiß darstellt, besonders wenn mit viel Gewicht im Kofferraum ist, steigt der negative Sturz an und zusammen mit der teils hohen Motorlast wird der Reifenlatsch nach aussen gezogen, sodaß der Reifen teilweise (je nach Fabrikat) auf der Innenschulter läuft. Hochmotorisierte Vertreterfahrer sollten sich öfters die hintere Innenschulter anschauen (lassen)

    Fazit:

    Wenn am Auto nichts verbogen ist sind bei starkem Ablaufen (Ziehen) überwiegend Reifenprobleme festzustellen.

    Da hilft dann Nachlaufverzwängung fast nicht.

    Das ist im Übrigen eine Aufgabe für darauf spezialisierte Werkstätten, am besten MB Niederlassungen mit dem geeigneten Messequipment, das ein Herr Unger nicht hat.

    Ich würde mir das Geld erstmal sparen und einen Kreuztausch der Räder machen. Das ist am preisgünstigsten. und machmal ändert sich ja schon was beim So/Wi Rädertausch. Keine Angst beim Kreuztausch laufrichtungsgebundener Reifen für den Test. Der einzige Grund ist die durch die Laufrichtung optimierte Drainage.

    Noch Fragen?

    Gerne

    Regards

    Rei97

  • Also:

    Spurwinkelfehler an der Vorderachse führen nicht zum Ziehen, weil sich die Spur bezogen auf die geometrische Fahrachse (Mitte der Hinterachsspur) vorne mittig stellt.

    Dabei steht dann das Lenkrad schief.

    Eine ausgeschlagene Spurstange kann aber schon zum Ziehen führen.

    Vorspur 0 und Nachspur macht den Geradeauslauf indifferent, weil der Reifenlatsch dabei nicht aufgezogen wird oder einseitig über 0 geht. Zu große Vorspur macht den Geradeauslauf zwar stabiler, aber erhöht auch den Aussenschulterverschleiß.

    Die Spurvermessung sollte mit den Schnellspannern duchgeführt werden die sich mit 5 Beinen durch die Felge auf dem Bremsscheibentopfboden abstützen. (MB NL haben das).

    Messungen mit Universalschnellspannern die sich auf Felge oder gar Reifen abstützen, führen fast immer zu erheblichen Messfehlern, weil sich dann die Messung auf stark schlagbehaftete Teile stützt. Dabei dann das Rad bei der Messung vorwärts und rückwärts zu drehen und dann zu versuchen den Schlag herauszurechnen, beruht auf der irrigen Annahme eines einphasigen Schlages. Diese Teile haben meist eine Delle oder Beule und die kann lokal locker mal 3mm betragen. Fahrzeughersteller , die mit den Universalspannern arbeiten müssen, weil sie nicht auf den Bremsscheibentopfboden mangels der Löcher in den Felgen messen können haben doppelt so hohe Vorspurtoleranzen wie z,B. MB, BMW Porsche.

    Regards

    Rei97

  • Ich verfolge diesen Thread durch Zufall und mir bleibt bei den fast schon wissenschaftlichen Ausführungen des Kollegen "rei97" die Spucke weg. Muss zwar alles 2-3 mal lesen, meine dann aber, selbst als Laie grob zu verstehen, was beschrieben wird.

    Klasse!

    VG Carsten